Nehmen wir mal kurz, für einen Moment an die Liebe sei eine zähflüssige träge Masse. Etwas das sich in einen Raum ergießt wenn ein Mensch, aus welchem diese Liebe heraussprudelt, oder besser vielleicht, stetig, ähnlich einem Lavafluss, langsam herausquillt, diesen betritt. Wenn wir der Liebe für einen Moment diesen Aggregatzustand und diese Fließeigenschaften zuweisen und uns dann noch kurz verinnerlichen, dass je stärker diese Liebe ist, desto stärker auch die Kraft mit der diese zähe Masse im erosionistischen Sinne auf die Umgebung einwirkt, dann bekommen wir in etwa ein Bild dessen was in Herrn Scherers Büro geschah als Stefan, gleichzeitig mit seinem Klopfen die Tür öffnete.
Bisher stand Jarna, die dort gerade eigentlich nur kurz eine Frage beantwortet haben wollte und von den Vorfällen um einen stürzenden Pflegedienstleiter nichts wusste, hüfthoch in einer rosafarbenen Suppe aus Frau Degenkorbs Zuneigung zu Herrn Scherer. (Ihre Erziehung hätte ihr nicht erlaubt ihre Zuneigung Liebe zu nennen. Der rosa Suppe war das allerdings egal.) Aus Jarna quoll eine geringere Menge blaulilane allgemeine Menschenliebe heraus die um sie herum nette kleine Ringe in der degenkorbschen rosa Brühe bildete und zu netten entspannenden Farbspielen führte. Herr Scherers Liebesliquidausstoss war derzeit, ob seiner misslichen Lage (sowohl der psychischen als auch der physischen Lage auf Roswithas Schoß) eher gering und es tröpfelten nur geringe Mengen blaugrünschillernder Soße von ihm herab, die sich weigerte mit Frau Degenkorbs Rosa eine Emulsion zu bilden und stattdessen kleine Teiche auf der rosafarbenen Oberfläche entstehen ließ.
Nun aber betrat Stefan den Raum und da er direkt durch den ersten, sich öffnenden Spalt der Tür Jarna erblickte, eruptierte sein Liebesoutput mit der Wucht einer pyroklastischen Wolke und schob sich, wie eine tiefrote tsunamiartige Bugwelle vor ihm in den Raum. Sie überrollte das degenkorbsche Rosa prallte gegen die Wand und vereinte sich dort mit der ebenso eruptiv ausgestossenen Welle von Herrn Scherers Liebe die grünblau, irisierend schillernd aus ihm herausbrach als sein lediertes Wesen Stefan erblickte. Was folgte war ein unsichtbares farbenfrohes Spektakel hinter dem jede LSD Erfahrung der 60er verblasste. Wild peitschende Wellen und ein bis unter die Decke ansteigender Pegelstand wildester Farben, eine Sturmflut im Lavalampenkleid, berstende Fensterscheiben die dem Binnenliebesdruck nicht standhalten konnten und aus denen regenbogenfarbige Ströme die Fassade hinunter ins Tal strömten und Niedernbach unter sich begraben wollten wie der Vesuv Pompeji. Im Sonnenhain flossen reißende Bäche und Flüsse durch Flure und Treppenhäuser und durchspülten nach und nach jedes Zimmer. Das alles hatte keine, aber wirklich gar keine Auswirkung auf irgendjemanden oder irgendetwas. Außer dass Herr Furthagen unter eine alte Klassenarbeit wohlwollend eine 3+ schrieb und einem Schaffner eine kleine Träne aus dem Auge lief beim Gedanken an seine Agathe. Gott hab sie seelig.